SPOTTING

Brigitte Konyen und Michael Michlmayr im Grünraum, Wien, 8.4.2019,

Text zur Eröffnung von  Petra Noll-Hammerstiel


Spotting – den Spot, den Fokus auf etwas setzen, etwas genauer betrachten – das ist der Titel der Ausstellung von Brigitte Konyen und Michael Michlmayr. Beide schauen in den hier ausgestellten Arbeiten zurück in die Vergangenheit – in ihre persönliche Vergangenheit. Sie eignen sich historisches Bildmaterial aus einem persönlichen Archiv an, um daraus eigene Wirklichkeiten zu konstruieren. Durch den zeitlichen Abstand zu den verwendeten Fotos wird nicht nur ein anderer Blick auf vergangene Ereignisse, sondern auch auf die eigene Idenitität und Herkunft ermöglicht. Dieser Blick zurück ist eng verbunden mit den Themen Erinnerung und Zeit, die beide durch ihr Gesamtwerk hindurch begleiten.

Brigitte Konyen zeigt Arbeiten aus ihrer 2017 begonnenen Serie „Snapshots“. Sie geht von mehr oder weniger schnell eingefangenen Momentaufnahmen von Menschen aus ihrer persönlichen Geschichte aus. Dieses Farb- u. SW-Material scannt sie ein, bearbeitet und entwickelt es. Aus den daraus entstehenden Fine Art Prints werden manuell Collagen gefertigt, also Unikate. Die Fotografien unterzieht Konyen in einem langen, handwerklich aufwändigen Prozess des Auswählens, Fragmentierens und Komponierens einer – auch intuitiven – Neuordnung. Bei Konyen sind Fotografien grundsätzlich nie Endresultat, sondern sind immer Ausgangspunkt für weitere Bearbeitung. Ihr Aneignungsprozess ist zu Beginn ein destruktiver, wie beispielsweise auch in ihren Fotoflechtbildern oder in ihren Montagen aus klein gerissenen Fotografien. In diesen verwendet sie auch, so wie hier in der Serie „Snapshots“, häufig Bilder aus ihrer eigenen Biografie, also Bilder von Ereignissen der Familiengeschichte, die bereits vergangen sind und nur noch erinnert werden können. Der Serie „Snapshots“ liegen Fotos ihrer weiblichen Vorfahren mütterlicherseits aus mehreren Generationen zugrunde. Bilder von Frauen aus älterer Zeit mit religiöskonservativem gesellschaftlichen Kontext prallen auf jüngere. Nur langsam ist es den Frauen gelungen, sich aus traditionellen Einengungen zu befreien, was sich auch an deren mehr oder weniger freizügigen Präsentationen und Kleidern zeigt. Es sind Bilder für ein kulturelles Gedächtnis des weiblichen Kör-pers. Das Medium Collage – das lange Arbeiten am Material – hat Konyen geholfen, mental tiefer eintauchen zu können in die Familiengeschichte, ohne dass die individuellen Geschichten letztlich dominieren. Zum Ursprungsmaterial geht sie, wie gesagt, auf Distanz: Aus mit extremen Schnitten herausgelösten Ausschnitten von Fotos verschiedener Zeiten wurden neue, meist zwei-, drei- oder auch vielfach geteilte, vertikal in unterschiedlich hohe Streifen gegliederte Bilder geschaffen. Die Köpfe sind grundsätzlich nicht sichtbar; Einzelteile wie Arme, Beine, Füße, Teile von Oberkörpern – und somit Gesten, Posen und Körpersprache – bestimmen die Bilder. Meist sind neue, surreale Formationen entstanden, indem Körperteile unterschiedlicher Personen und Proportionen aneinandergesetzt wurden. Die Bilder changieren zwischen Sein und Schein; die Einheit von Handlung, Raum und Zeit ist gesprengt. Konyen öffnet den Blick in ihre Geschichte, verweigert aber gleichzeitig eine eindeutige Lesbarkeit und Zuschreibung der Personen, konstruiert ihre eigene Wirklichkeit aus zahlreichen kleinen Erinnerungsfetzen. Damit distanziert sie sich deutlich von Fotos aus dem Familienalbum mit Erkennungswert, wie bereits schon in ihrer Serie „Une enfance (im) possible avec mon père“ mit fiktiven Fotosituationen mit ihrem Vater; in der Arbeit „alles oder nichts“ mit realen und fiktiven Fotos ihrer Liebesgeschichten oder auch in „Familienalbum“, wo die Porträts durch die überlagerten halbopaken Zwischenblätter des Albums unscharf werden.

Inhaltlich wird – in allen diesen Serien und auch hier – durch die gewählte formale Gestaltung auf die Erinnerung als ein künstliches und vages Konstrukt gedeutet: Erinnerung ist geprägt von Vergessen, Verdrängen, Selektieren, Umdeuten, sich Einbilden und auch vom Gefühl des Verlusts der Zurückblickenden, die oft Halt suchen im Rezipieren von Bildern als scheinbar verlässlichen Dokumenten.

Es ist die Mehrschichtigkeit, die nur angedeutete persönliche Geschichte, die es auch den BetrachterInnen ermöglicht, aus diesen „Familienbildern“ etwas Eigenes zu lesen.

Innerhalb von Michael Michlmayrs Werk sind die ausgestellten Arbeiten eher außergewöhnlich, obwohl auch hier, wie immer bei ihm – z.B. in seinen extremen Langzeitbelichtungen oder auch in seinen konstruierten, wie zeitgleich wirkenden urbanen Szenarien –„Zeit“ im Verhältnis zum Raum eine große Rolle spielt. Das Thema Zeit verbindet ihn auch mit den Arbeiten von Konyen. Hier in der Ausstellung zeigt Michlmayr als Hauptarbeit das 2015/16 entstandene Schwarz-Weiß- Video „Revisting the Past“, was soviel heißt, wie zu-rückgehen in die Vergangenheit, sie wiederaufgreifen, überdenken. Wie Konyen beschäftigt Michlmayr sich hier mit seiner persönlichen Geschichte als Auslöser von Erinnerungen. Basismaterial für seine Arbeit sind Negativstreifen aus seinem zwischen 1981 und 2000 angelegten Bildarchiv. Eine Auswahl daraus hat er jeweils kurz in die Hände genommen, umgedreht, betrachtet und diesen Akt abfotografiert und zu einem Film zusammengefügt. Was für Konyen im Umgang mit den biografischen Fotografien das Zerschneiden und Neuordnen ist, ist für Michlmayr das In-Szene Setzen der Fotos und ebenfalls die Neukontextualisierung, in seinem Fall die Übertragung in das Medium Film. Er hat eine Bild-im-Bild-Situation geschaffen und damit eine zweite Ebene miteingebracht, durch die der Akt des Betrachtens thematisiert wird. Im Hintergrund klickt in regelmäßigen Abständen der Auslöser einer Kamera, wo-durch – wie auch durch die Projektion auf Fotopapier – das ursprünglich analoge Fotografieren und damit das direkte Involviertsein betont wird. Das verwendete fotografische Material besteht aus Selbstporträts, Bildern von ihm bekannten Personen, Bezugspersonen und

Situationen, Erinnerungen an seine zurückliegende künstlerische Arbeit sowie an gesellschaftliche oder politische Ereignisse dieses Zeitraums. Selten sind die Menschen komplett

und deutlich zu sehen. Vielmehr sind es Ausschnitte menschlicher Körper, Rückenansichten oder verdeckte, abgeschnittene, verschattete Gesichter – intuitiv gewählte, oft intime, emotionale Ausschnitte aus seinem und aus dem ihn umgebenden Leben, kurze Spots mit großem stimulativen Erinnerungswert für den Künstler. Ebenso wie bei Konyen bleiben die Inhalte der Zeitreise von Michlmayr für Außenstehende weitgehend verschlossen. Die eindeutige Sichtbarkeit wird durch verschiedene Komponenten erschwert: durch die Über-tragung in das Medium Film, den rasanten Durchlauf des Films – in dem die Fotos nur flashartig auf-blitzen –, durch die Verwendung realitätsverfremdender transparenter Negativstreifen sowie durch die Überblendung und Drehung dieser Streifen. Aber gerade dieses Fehlen der offen-sichtlichen Bezüge, dieses Bruchstückhafte, Fragmentarische in der formal streng konzipierten und dennoch sehr poetisch wirkenden Arbeit kann bei den BetrachterInnen umso mehr eigene Vorstellungen und Erinnerungen auslösen, frei von üblichem Raum- und Zeitempfinden und auf der Basis von Kausalitäten, wie es sie in der Realitätserfahrung so nicht gibt.

Zusätzlich dazu präsentiert Michlmayr – in einer Manier, als wären sie gerade zum Trocknen aufgehängt, was wieder den analogen Prozess betont – Schwarz-Weiß-Prints von Bildern aus dem Film. Auch diese zeigen die haltenden Hände. Durch die Wiederrückführung in das ursprüngliche Medium wird eine weitere Zeitebene eingeführt: Aus Fotos entstand ein Film, aus dem Film wiederum Fotos. Mit den Fotos stoppt Michlmayr den rasanten, ja unruhigen Rhythmus des Films und schickt die BetrachterInnen und Betrachter nun auf eine meditative, reflexive Reise durch seine Bilderwelt.

Mit unterschiedlichen Mitteln geht es Konyen und Michlmayr hier um dasselbe: Neben der Auseinandersetzung mit der eigenen Biografie, mit den die Erinnerung konstituierenden Faktoren sowie mit Zeit erforschen sie Wahrnehmungsstrukturen sowie den Abbildungs- und Informationswert fotografischer Bilder.

"The realism of photography creates confusion as to what is real" Susan Sontag